Geschundenes Geflügel im Glück

Kisdorf. In der Massentierhaltung werden Hochleistungshennen im Alter von etwa eineinhalb Jahren geschlachtet, weil dann ihre Legeleistung drastisch abnimmt. Sie enden als Suppenhuhn, landen im Tierfutter, in Brühwürfeln oder in der Kadavertonne. Pro Jahr werden in Deutschland rund 38 Millionen Legehennen getötet, ohne vorher das Tageslicht gesehen zu haben.

Der Verein „Rettet das Huhn“ gibt den Tieren eine zweite Chance und vermittelt sie in private Hände, in denen sie ein artgerechtes Leben als wertgeschätzte Haustiere führen dürfen. Sogar TV-Moderatorin Barbara Schöneberger hatte vor ein paar Jahren drei Hennen aufgenommen.

Der Verein arbeitet mit sechs kooperierenden Legebetrieben in mehreren Bundesländern zusammen – darunter sind Boden- und Freilandhaltungen sowie Bio-Betriebe. 33 Teams des Vereins organisieren zwischen Flensburg und dem Chiemsee Termine, bei denen jährlich 12000 Legehennen gerettet und per Schutzvertrag gegen eine Spende vermittelt werden. Die Betriebe überlassen dem Verein die Hennen kostenlos. Deren Schlachtwert liegt nach Ablauf der „Nutzungsdauer“ bei lediglich 20 bis 50 Cent pro Tier – der Aufwand für Transport und Schlachtung wäre weitaus höher. Eine Bedingung haben die Legebetriebe jedoch: Der Verein muss jeweils den gesamten Hühnerbestand übernehmen – und das sind zwischen 800 bis 1200 Hennen auf einen Schlag.

Susanne Pokossi aus Kisdorf ist eine von vielen Ehrenamtlichen, die sich im Verein für die Hühnerrettung und -vermittlung einsetzen. Sie ist für den Raum Hamburg von Stade bis nach Henstedt-Ulzburg zuständig. „2018 bin ich über einen Zeitungsartikel auf das Thema aufmerksam geworden und wollte gerne helfen. Das ausgediente Kinder-Gartenhaus wurde zum Hühnerstall umfunktioniert und meine ersten fünf Ex-Legehennen zogen ein.“

Seitdem ist die 59-jährige mit dem „Hühner-Virus“ infiziert – im positiven Sinne. Aktuell beherbergt sie elf Hühner plus Hahn Fernando in einem eigens gebauten Stall samt 80 Quadratmeter großer Voliere sowie riesigem Garten mit viel Platz zum Scharren und Würmer picken. „Ich freue mich sehr, wenn ein geschundenes Rettungshuhn zum allerersten Mal genüsslich ein Sandbad nimmt oder in der Sonne chillt – Dinge, die ‚normale‘ Hühner täglich tun.“

Mitten in der Voliere steht eine Holzbank – einer von Susanne Pokossis Lieblingsplätzen. „Die Tiere zu beobachten ist so entspannend – dabei kann ich wunderbar runterfahren“, sagt die Universitätsmitarbeiterin. „Die meisten Hennen sind sehr zutraulich und suchen die Nähe des Menschen – sie sind dankbar für ihre Rettung“, sagt die Kisdorferin und krault Toffie das Gefieder. Stattliche sechs Jahre ist die Henne der Rasse Lohmann-Brown inzwischen alt, die ihr als Jungtier bei einer Rettungsaktion über eine Stunde nicht von der Seite gewichen ist. „Sie hat mich für ihr weiteres Leben ausgesucht“, ist sich die Hühnerfreundin sicher.

Als Pflegestelle versorgt sie zusätzlich verletzte und kranke Tiere, die über die „Rettungsbrücke“ zu ihr kommen. Etwa 14500 Hennen sterben täglich als Verluste in der deutschen Eierindustrie – mit gebrochenen Beinen, Wucherungen, nach Legedarmvorfällen und schweren Pickwunden. Regelmäßig holt der Verein einige solcher Tiere ab, versorgt sie tierärztlich und vermittelt sie anschließend auch privat.

„Einige Male bin ich schon zum Pflegestellenversager geworden“, erzählt Susanne Pokossi mit einem Lächeln. Thea Torkel und Wiktoria Wackel hatten beide neurologische Probleme – „trotz oder gerade wegen ihrer Handicaps konnte ich mich einfach nicht von diesen Sorgenhühnern trennen“, gesteht die sympathische Frau.

Am 5. Oktober steht die nächste Rettungsaktion an. 800 braune Legehennen aus einer Freilandhaltung in Niedersachsen und ein Hahn sowie mehrere Hähne aus Pflegestellen suchen dringend nach neuen Hühnereltern. Wer Interesse hat, füllt das Kontaktformular auf der Internetseite www.rettet-das-huhn.de/aktueller-aufruf des Teams Hamburg aus und schickt Fotos von dem neuen Zuhause, das die Tiere erwartet. „Selbstverständlich helfen wir bei Fragen zur Volierengröße oder Adressen von geflügelerfahrenen Tierärzten“, versichert Susanne Pokossi. Zudem steht sich im Nachhinein weiterhin mit den Abnehmern in Kontakt.

Die Übergabe der Tiere erfolgt am Rettungstag in Seevetal/Hittfeld. Für den Transport sollten statt Kartons mit Luftlöchern besser Körbe oder Kleintierkäfige mitgebracht werden, damit der Start des geretteten Federviehs in ein neues Leben stressfrei gelingt.

 

Wer sich eine private Hühnerhaltung aufbauen möchte, muss einige Grundsätze beachten. Hühner sind Herdentiere und sollten immer mindestens zu dritt gehalten werden. Jedes Tier braucht in einem trockenen, sauberen und zugluftfreien Stall wenigsten 0,33 Quadratmeter Grundfläche mit Sitzstangen, Kotbrett und Legenestern. Garten- und Gerätehäuser aus Holz können mit wenig Aufwand zu Hühnerställen umgebaut werden. Die Einstreu des Bodens sollte aus Hanf, Stroh- oder Heuhäcksel bestehen und mindestens jeden Monat komplett erneuert werden.

Zusätzlich benötigt jedes Huhn zehn Quadratmeter Auslauffläche zum Scharren und Picken im Freien, die es zur überwiegenden Zeit des Tages zur Verfügung hat. Optimal ist eine Grasfläche mit Büschen zum Verstecken vor Greifvögeln. In einer eingenetzten Voliere mit maximal zehn Zentimetern Maschenweite können Leitern, Kisten, Äste und Schaukeln für Abwechslung im Hühnerleben sorgen. 

Private Hühnerhaltung muss beim zuständigen Veterinäramt angemeldet werden, sonst wird ein Bußgeld riskiert. Das kann je nach Bundesland bis zu 30000 Euro betragen.